Projektpublikationen in der Reihe
»IVS SAXONICO-MAIDEBVRGENSE IN ORIENTE«
Inge Bily, Wieland Carls, Katalin Gönczi. Sächsisch-magdeburgisches Recht in Polen. Untersuchungen zur Geschichte des Rechts und seiner Sprache. Berlin 2011
(=IVS SAXONICO-MAIDEBVRGENSE IN ORIENTE. Bd. 2)
Vorwort
Seit dem Erscheinen von Band 1 unserer Untersuchungen zur Verbreitung des Sachsenspiegels, des Magdeburger Rechts und verwandter Rechtsquellen in Ostmitteleuropa sind drei Jahre vergangen. Endlich kann der Band zu Polen vorgelegt werden.
Polen spielt nicht nur wegen seiner Nachbarschaft zu Deutschland, die sich in vielen historisch-kulturellen Wechselbeziehungen manifestiert, in dem von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig betriebenen Akademievorhaben „Das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas“ eine zentrale Rolle. Vielmehr sind es die Intensität und die Vielschichtigkeit, welche die Verbreitung der aus Mitteldeutschland stammenden und vor Ort bearbeiteten Rechtstexte in Polen auszeichnen. Entsprechend zahlreich sind Forschungen in Polen und Deutschland zu diesem Gegenstand, die angesichts der ideologisch-politischen Brüche im 20. Jh. zunächst einmal gesichtet und einer gründlichen Kritik unterzogen werden mußten. Dieser Umstand rechtfertigt die ausführliche Darstellung der Forschungsgeschichte im ersten Teil des Bandes.
Es mußte gründlich überlegt werden, wie eine interessante und unter verschiedenen Aspekten brauchbare Publikation zu diesem Gegenstand, die hohen wissenschaftlichen Maßstäben genügen muß, strukturiert und inhaltlich gestaltet werden soll.
Die Konzentration auf Polen, womit im Kern das heutige Staatsterritorium der Republik Polen gemeint ist, mag aus der historischen Perspektive nicht unberechtigte Kritik hervorrufen. Diese wird auch – gewissermaßen permanent – die folgenden, nach gegenwärtigen Ländern strukturierten Bände betreffen. Es gibt aber auch Gegenargumente. Dazu gehören u. a. folgende: In rechtsgeschichtlichen – und damit rechtswissenschaftlichen – Publikationen muß es legitim sein, weltweit akzeptierte, völkerrechtlich respektierte und geschützte Ländernamen zu gebrauchen. Es ist ganz evident und unstreitig, daß die damit bezeichneten Gebiete in den vergangenen Jahrhunderten mannigfaltigen territorialen Veränderungen und sich wandelnden Herrschaftsstrukturen unterlagen. Die enge Kooperation mit unseren wissenschaftlichen Partnern aus den verschiedenen Ländern gebietet nach unserer Überzeugung geradezu eine Anknüpfung an die bestehenden modernen Staaten. Des weiteren sei auf den 1980 von Dietmar Willoweit und Winfried Schich herausgegebenen Sammelband „Studien zur Geschichte des sächsisch-magdeburgischen Rechts in Deutschland und Polen“ verwiesen. Aus forschungsgeschichtlicher Sicht war dieser Band bahnbrechend. Dieser verwendet unaufgeregt und selbstverständlich die gegenwärtigen Staatsbezeichnungen im Titel. Schließlich sei das renommierte „Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte“, das unter der Leitung von Helmut Coing am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte erarbeitet wurde (erschienen 1973–1988), genannt. In diesem Standardwerk sind die rechtlich relevanten Materien weitgehend nach den gegenwärtigen europäischen Ländern mit ihren üblichen Bezeichnungen gegliedert. Die Herausgeber der Reihe „IVS SAXONICO-MAIDEBVRGENSE IN ORIENTE“ haben sich nach gewissenhafter Abwägung dieser und anderer Argumente dafür entschieden, den gegenwärtigen Ländernamen den Vorzug zu geben. Diese versperren keineswegs übergreifende Betrachtungen, ohne die die rechts- und sprachgeschichtlichen Komponenten des Untersuchungsgegenstandes weder erschließbar noch darstellbar sind.

Der Transfer des Magdeburger Rechts ins polnische Sprachgebiet wird in entsprechenden Texten deutlich, die das neue Rechtssystem versprachlichen, also vom Frühneuhochdeutschen ins Altpolnische überführen. Erstmalig wird in den hier vorgelegten Untersuchungen der einzig gangbare Weg beschritten, die deutschen Termini in ihrem neuen polnischen Gewand zu zeigen und zu untersuchen, auf welche Weise eigentlich der Transfer bewältigt wurde, wie die beiden Sprachsysteme sich berührten und mit welchen Umgestaltungen die neuen Rechtstermini im Polnischen ankamen und weiterentwickelt wurden. In vielen größeren und kleineren Städten Polens werden die entsprechenden Denkmäler aufgenommen und weiterentwickelt, vom späten Mittelalter bis in die frühe Neuzeit, in wichtigen Zentren wie Krakau, Kulm usw. Das polnische Sprachsystem war durchaus in der Lage, mit den Anforderungen des Transfers fertig zu werden und das neue Wortgut zu integrieren. Genauere Untersuchungen legen die Besonderheiten der Aufnahme frei und führen eine erste Sonde in einen für Europa wichtigen kulturhistorischen Vorgang im osteuropäischen Raum, der sich auch in anderen Landschaften, wie die folgenden Bände nach weiteren Untersuchungen, wenn auch mit manchen Spezifika, bestimmt zeigen werden.
Ethnisch und sprachlich ist dieser Raum sehr vielschichtig und hat nicht nur slawische Komplexe, sondern umfaßt auch baltische, ungarische Gebiete usw. Die heutige national bestimmte Gliederung (,Nationalsprachen‘) kann für die frühe Neuzeit nicht zugrunde gelegt werden. Doch was hier für die polnischen Lande, die mit deutschen Siedlern verschiedenster Provenienz durchsetzt worden sind, erkannt wurde, ist methodisch auch für andere Ethnien von Belang, mit der Aufforderung, Parallelen und Differenzen zu ermitteln. Auch wenn hier vor allem den Schöffensprüchen unsere Aufmerksamkeit galt, so ist das Instrumentarium auch für andere Quellengattungen von großer Bedeutung.
Für eine stattliche Anzahl von Wörtern (Lexemen) aus den frühneuhochdeutsch geschriebenen Schöffensprüchen, die ins ältere Polnisch übertragen wurden, wird in der hier vorgelegten Untersuchung gesagt, in welcher Form der Transfer erfolgte. Deutlich werden prägnante Unterschiede zwischen den beiden Sprachen, vor allem in der Wortbildung, denn beide Sprachen sind in ihrer Struktur recht unterschiedlich angelegt und das Polnische verfügte über mehr gestaltende Wortbildungsmittel als das Deutsche, das den Zusammensetzungen mehr zugetan war.
Das hier angesprochene Netz der Denkmäler und Texte läßt noch offen, welche wichtigen geografischen Unterschiede sich im Transfer etwa noch auftun werden. Unsere erste Sonde bietet auf diese Weise viele Anregungen zu weiteren notwendigen Monografien für die Sprachgeschichte, aber auch unbedingt für die Siedlungs- und Stadtgeschichte der Hunderte von Orten, in denen sich die Geltung des neuen Rechtes auswirkte und das Leben der Bewohner wesentlich beeinflußte.

So glauben wir, eine handbuchartige Publikation geschaffen zu haben, die auf dem neuesten Stand der Forschung die komplexen rechtlichen und rechtssprachlichen Transferprozesse zwischen Mitteldeutschland und Polen dokumentiert.
Wir danken allen, die zur Fertigstellung dieses Buches beigetragen haben. Das gilt insbesondere für Frau Professorin Dr. Danuta Janicka (Toruń), die als Mitglied der vorhabenbezogenen Kommission des Akademievorhabens gerade diesem Band mit beratenden und konstruktiv-kritischen Anmerkungen zur Seite stand. Des weiteren sei allen übrigen Kommissionsmitgliedern nicht weniger aufrichtig und herzlich gedankt: Frau Dr. Jolanta Karpavičiene (Vilnius), Herrn Prof. ̇Dr. Dr. h. c. Christian Hannick (Würzburg), Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Ilpo Tapani Piirainen (Münster), Herrn Prof. Dr. Matthias Puhle (Magdeburg) sowie dem Vorsitzenden, Herrn Dr. Matthias Hardt (Leipzig). Für ihre Unterstützung vor allem beim Korrekturlesen sei an dieser Stelle auch Frau Manuela Züfle (wissenschftlich-technischen Mitarbeiterin im Projekt) sowie den beiden wissenschaftlichen Hilfskräften Frau Claudia Hollstein M.A. und Frau Andrea Ziesch M.A. gedankt. Dankbar sind wir darüber hinaus mehreren Institutionen, welche die Realisierung des Vorhabens ermöglichen und begleiten: der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, dem Freistaat Sachsen, dem Land Sachsen-Anhalt, dem Leibniz-Institut für Länderkunde (Leipzig) sowie dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (Leipzig).

Leipzig / Halle an der Saale, im Oktober 2011
Heiner Lück / Ernst Eichler
weitere Informationen:Verlag De Gruyter Recht
Inhaltsverzeichnis [PDF]
Buchvorstellung in Magdeburg am 29. Juni 2012
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